Die Handaufzucht
(erschienen in Katzen extra 07/2000
in Zusammenarbeit mit Gabriele Metz, Mülheim/Ruhr)
In akuten Fällen bin ich jederzeit unter der Tel.-Nr.
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zu erreichen.
“Wenn die Milch versiegt, heißt es Ruhe zu bewahren.”
Die Handaufzucht
ist ein diffiziles Thema. Obwohl theoretisch jeder Züchter irgendwann mit diesem Problem konfrontiert werden kann und man davon ausgehen sollte, dass Profis auf derartige Komplikationen
vorbereitet sind, besteht ein erstaunlich hoher Aufklärungsbedarf. Selbst langjährige Züchter stehen
oft recht hilflos da, wenn die Milch versiegt oder gar nicht erst fließt und wissen nicht genau, welche Maßnahmen sie nun ergreifen müssen. Ohnmacht und Verzweiflung machen sich breit. Ratlosigkeit und darauf folgende Panikreaktionen sind nicht selten. “Ich war völlig verzweifelt, als ich bemerkte, dass meine Katze keine Milch hatte und die Kitten nicht ernähren konnte”, erinnert sich eine Siam-Züchterin. “Natürlich war mir der theoretische Ablauf einer Handaufzucht bekannt, aber als ich mich plötzlich tatsächlich in einer akuten Situation befand, wurde ich doch sehr nervös”, erinnert sich die Katzenliebhaberin.
Gründe für die Handaufzucht
Es gibt viele
Ursachen, die dazu führen können, dass eine Katzenmutter nicht
dazu in der Lage ist, ihre Kitten selbst großzuziehen. Manche Katzen haben aus irgendwelchen Gründen keine oder nur zuwenig Milch. Häufig ist eine Infektion der Mutterkatze der Grund. Ist dies der Fall, muss unter allen Umständen sofort ein Tierarzt konsultiert werden. Vielleicht erfolgte die Geburt per Kaiserschnitt und die Katze steht unter einem Operationsschock. Katzen reagieren ganz unterschiedlich auf den medizinischen Eingriff: Einige beginnen bereits im halb narkotisierten Zustand, den Nachwuchs zu belecken, andere lehnen die Kitten rigoros ab.
Manchmal verstirbt
eine Katzenmutter während oder kurz nach der Geburt und der
Züchter steht ganz allein da. Ist dies der Fall, sollte man während der ersten Stunden ein Heizkissen oder ein Kirschkernkissen beziehungsweise ein Leinsamenkissen - beide lassen sich bequem in der Mikrowelle erhitzen (Achtung! Überprüfen Sie die Temperatur des Kissens mit der Hand, bevor Sie es für die Kitten verwenden!) und haben den Vorteil “kabellos” zu sein - unter die Liegefläche der Kätzchen schieben, damit es die Kleinen schön warm haben. Später reicht eine angenehme Zimmertemperatur aus, um das Wohlbefinden der Kitten sicherzustellen. Allerdings sollte man nicht vergessen, den Raum regelmäßig zu lüften, da kleine Kätzchen viel frischen Sauerstoff benötigen. Unruhe und Stress, beispielsweise durch einen Umzug bedingt, können ebenfalls dazu beitragen, dass die Milch versiegt.
Die ersten Schritte
Im ersten Moment
denkt man an unendlich viele Dinge gleichzeitig: Was soll ich
nun tun? Muss ich den Tierarzt anrufen? Wie lange kommen die Kitten ohne Milch aus? Was ist mit der Mutterkatze los? Man ist einfach völlig verwirrt”, berichtet die Siam-Züchterin. Dabei sei es in einer solchen Situation überaus wichtig, die Nerven zu behalten.
Sobald man
feststellt, dass die Milchversorgung der Kitten nicht gewährleistet ist, sollte man sich dazu zwingen, Ruhe zu bewahren und einen Notfall-Plan erstellen, den man anschließend Schritt für
Schritt befolgt. Es hat keinen Sinn, willkürlich irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen, die den Kitten sogar noch schaden könnten.
Der Natur eine Chance geben
Bevor die ersten
Hilfsmaßnahmen eingeleitet werden, sollte man darüber nachdenken, ob es offensichtliche Gründe für die mangelnde Milchversorgung gibt. Katzen, die einen Kaiserschnitt hinter sich haben, sind
nach der Narkose manchmal noch stark benommen und realisieren im ersten Moment überhaupt nicht, dass sie sich um hungrige Kitten kümmern müssen.
Besteht der
Verdacht, dass die Katze einen Narkose- oder Operations-Schock hat, sollte der Züchter erst einmal abwarten. Die ersten Stunden überleben Kitten normalerweise auch ohne menschliche Hilfe und es
lohnt sich, etwas Geduld zu haben. Häufig kommt die Kätzin innerhalb weniger Stunden wieder
richtig zu sich und übernimmt die Pflege des Nachwuchses. Würde man die Kätzchen direkt füttern, wären sie bereits satt, wenn die Mutterkatze wieder oben auf ist und würden sich nicht für die Zitzen interessieren. Der Drang zur “natürlichen Milchbar” sollte aber auf jeden Fall erhalten bleiben.
Leider ist diese
Situation eine Gratwanderung: Man darf nicht zu früh
einschreiten, aber auch nicht zu lange warten, um eine Schwächung der Kätzchen zu verhindern. Die Kitten sollten auf jeden Fall regelmäßig gewogen werden. Falls keine Gewichtszunahme zu verzeichnen ist, muss man die Fütterung für ein bis zwei Tage übernehmen. Sobald die Mutterkatze wieder fit ist, kann sie sich um die Versorgung des Nachwuchses kümmern.
Man kann das
Interesse der Mutterkatze auch wecken, indem man die Kitten mit
weicher Butter einreibt. Viele Katzenmütter lassen sich von dem Duft verführen und beginnen, die Kitten abzuschlecken. Ist dies der Fall, hat man schon gewonnnen. Sobald die Mutter die Kleinen beleckt, kann man davon ausgehen, dass sie ihren Nachwuchs auch annimmt.
Das richtige Equipment
Für eine sichere
Handaufzucht benötigt man das richtige Equipment: Flaschen (es gibt gerade und gekrümmte Varianten, die man auch bequem abstellen kann), Sauger, ein nicht klumpendes Milchaustauschfutter, einen
kleinen Schneebesen, Desinfektionsspray, Handtücher, kleine Tücher, um das Mäulchen zu
einigen und Stahltöpfchen. Es gibt verschiedene Ausführungen von Saugern, die nicht alle gleichermaßen gut geeignet sind. Lange Sauger knicken leicht ab, wenn man sie ins Mäulchen schiebt. Kleine kurze Sauger erweisen sich allgemein als praktischer und lassen sich leicht handhaben.
Vorbereitungen
Wer einen Wurf
erwartet, sollte unter allen Umständen vorsichtshalber ein Milchaustauschfutter im Haus haben. Bei der Auswahl der Milch sollte auf Klumpfreiheit geachtet werden. Nicht klumpende Milch ist beim
Tierarzt erhältlich und bedeutet eine ungemeine Arbeitserleichterung. Bilden sich beim
Anrühren dennoch Klümpchen, muss die Milch vor jeder Fütterung sorgfältig gesiebt werden. Die Milch wird mit handwarm temperiertem Wasser (entweder kohlensäurefreies Mineralwasser aus der Flasche oder abgekochtes Leitungswasser verwenden!) angerührt und in das Fläschchen gefüllt. Neugeborene Kitten benötigen durchschnittlich die Menge an Milch, die einem Teilstrich des Fläschchens (ungefähr ein Milliliter) entspricht. Die genaue Menge hängt natürlich vom individuellen Bedürfnis des Kittens ab. Gibt sich das Kätzchen mit einer kleineren Menge zufrieden, sollte man es keinesfalls zwingen, mehr zu trinken. - Es könnte sich verschlucken. Verlangt es nach mehr Milch, ist diesem Bedürfnis nachzukommen.
Wie locht man den Sauger?
Am besten drückt
man den Sauger mit den Fingern zusammen; so dass er schön flach ist. Anschließend schneidet man mit der Nagelschere eine sehr kleine Öffnung hinein und dreht die Schere einmal herum. Heiße
Nadeln eignen sich nicht für diese Prozedur. Die hohe Temperatur verschließt das Gummi wieder, nachdem man die Nadel hineingestochen hat. Durch Nadeln entstandene Löcher sind außerdem meistens
zu klein und lassen keinen gleichmäßigen Milchfluss zu.
Die Fütterung
Nun zur Fütterung:
Man legt sich ein Velours-Handtuch auf die Knie (kein Frottee, weil die Kitten mit ihren Krallen daran hängen bleiben könnten), desinfiziert sich gründlich die Hände und nimmt ein Kitten auf
den Schoß. (Vorsicht! Das Kitten darf keinesfalls auf den Rücken gelegt werden, weil es sich in dieser Position leicht verschlucken kann. Das Kätzchen
sollte sitzen oder stehen, wobei sein Rücken dem Menschen zugewandt ist.) Dann führt man den Sauger vorsichtig seitlich in das Mäulchen ein und schiebt ihn behutsam in eine frontale Position. - Das heißt,
dass der Sauger nun genau mittig im Mäulchen des Kittens sitzt. (Nachdem die Fütterung beendet ist, müssen alle Utensilien gründlich sterilisiert werden. Man kann sie abkochen oder mit einem
hautverträglichen Desinfektionsmittel behandeln.)
Massage
Nach der Fütterung
wird das Kitten sanft auf den Rücken gelegt, Nun gilt es,
das volle Bäuchlein zu massieren, damit die Verdauung in Schwung kommt. Die Massage kann sowohl mit den Händen als auch auf einem weichen Tuch (Tempo/ Kleenex) erfolgen.
Ziel der
Behandlung: Ein junges Kätzchen sollte nach jeder Fütterung Urin
lassen. Das Absetzen des Kotes sollte ebenfalls regelmäßig, aber nicht unbedingt nach jeder Mahlzeit erfolgen. Man darf nicht erschrecken, wenn die Form der kleinen Bäuche vom normalen Schema abweicht. Mit dem Fläschchen aufgezogene Kitten sehen oft aus wie kleine Schildkröten. Ihre Bäuche wirken ein wenig ausgebeult. Das ist im Rahmen einer Handaufzucht völlig normal. Die künstliche Fütterung ist einfach nicht mit einer natürlichen Aufzucht zu vergleichen: Kätzchen, die auf natürliche Weise (direkt vom Muttertier) ernährt werden, haben einen ganz individuellen Rhythmus. Sie trinken ein wenig, schlafen ein bisschen und trinken wieder. Es ist schwer, die genauen Mengen der Milch und die Abstände zwischen den einzelnen Fütterungen nachzuvollziehen. Bei der Handaufzucht unterliegen die Kitten einem künstlichen Rhythmus, der nicht voll und ganz ihrem natürlichen Fütterungsrhythmus entsprechen kann.
Verdauungsbeschwerden sind bei einer Handaufzucht leider nicht selten. Verstopfungen, Verschlucken und Durchfälle gehören zu den häufigsten Komplikationen.
Verstopfungen in
Verbindung mit Blähungen können dem Kitten sehr unangenehm werden und sind weitaus kritischer einzustufen als Durchfälle, da sie infolge eines Darm-Verschlusses nicht selten zum Tode führen.
Wer derartigen Schwierigkeiten vorbeugen möchte, sollte vorsorglich einen Vorrat an Fencheltee zu Hause haben. Mit mildem Fencheltee angemachte Milch verhindert Verstopfungen.
Verschlucken ist
die gefährlichste Variante der Komplikationen. Der Tierarzt zeigt wie man ein Kitten richtig “ausschüttelt”.
Durchfälle gehen
in der Regel innerhalb eines Tages von selbst zurück und
können außerdem positiv beeinflusst werden, wenn man bei der Fütterung auf Fencheltee verzichtet. Sobald der Kot wieder eine normale Konsistenz hat, kann das Milchaustauschfutter wieder mit Fencheltee angerührt werden.
Hält der Durchfall über 20 Stunden an, ist unverzüglich ein Tierarzt zu Rate zu ziehen.
Weitere Maßnahmen sind:
Man verabreicht
den Kitten zwischen den Mahlzeiten eine reine Fencheltee-Mahlzeit, die mit einer Messerspitze Traubenzucker pro Kitten versetzt wird.
Bei hartnäckigen
Verstopfungen man ein kleines Klistier (Babylax) und führt es
dem Kitten vorsichtig ein. (Obwohl diese Prozedur Fingerspitzengefühl erfordert, ist die Handhabung des Klistiers recht simpel und mit keinem großen Verletzungsrisiko verbunden, wenn man richtig damit umgeht.
Setzt keine
Besserung ein, muss man die Kitten zum Tierarzt bringen. Er wird eine Sonde einführen und die Kleinen einem Einlauf unterziehen.
Ammen
Es besteht
natürlich auch die Möglichkeit, einen kompletten Wurf von einer Ammenkatze aufziehen zu lassen. Allerdings ist ein solches Unterfangen nur dann von Erfolg gekrönt, wenn die Ersatzmutter auch
wirklich kerngesund ist und die Kitten nicht mit lebensgefährlichen Erregern infiziert.
Es ist immer ein
hohes Risiko, einen Wurf neugeborener Katzen in einen fremden Haushalt zu geben, Man sollte nur auf diese Alternative zurückgreifen, wenn man den Besitzer der Ersatzmutter ganz genau kennt und
weiß, dass sein Katzenbestand frei von ansteckenden Krankheiten ist.
(Übrigens bedeutet
es auch viel Vertrauen seitens des Ammenbesitzers die Kitten anzunehmen, denn auch die Kätzchen können Viren oder Parasiten in den Ammenhaushalt einschleppen.)
Nun ist es geschafft!
Normalerweise
beginnen Kätzchen im Alter von circa fünf Wochen selbständig zu
fressen. Kitten, die mit der Hand aufgezogen wurden, müssen durchschnittlich eine Woche länger, also bis zur vollendeten sechsten Lebenswoche, gefüttert werden. Vielleicht liegt das auch daran, dass sie es einfach herrlich bequem finden, sich von ihrem Menschen verwöhnen zu lassen!
Ist die
Handaufzucht erst abgeschlossen, gilt es, die Kätzchen anzufüttern. Es empfiehlt sich, für die Anfütterung ein stark riechendes Futter zu verwenden.
Damit die Kleinen
auf den Geschmack kommen, drückt man sie circa alle zwei Stunden einmal vorsichtig mit dem Näschen in das Futter. In der Regel akzeptieren sie das ungewohnte Futter bereits nach ein bis zwei
Tagen.
Noch zwei Anmerkungen:
Drei Wochen Dauerstress
Eine erfolgreiche
Handaufzucht ist Schwerstarbeit. Drei Wochen lang müssen die Kitten rund um die Uhr - alle zwei bis drei Stunden (abhängig von der Milchsorte) - gefüttert werden. Tag und Nacht. Das heißt:
Alle zwei Stunden
aufstehen, füttern, Bäuchlein massieren und das Fütterungs-Equipment reinigen. Diese Zeit ist nicht nur für den Züchter stressig, der keine einzige Nacht mehr durchschlafen kann. - Oft leidet
die gesamte Familie unter der Ausnahmesituation. Meistens kommt man als Züchter
nicht umhin, die äußerst diffizile Handaufzucht allein durchzuführen. Ungeübte Helfer richten unter Umständen nur Schaden an. Es besteht die Gefahr der Aspiration; das bedeutet, dass die Kätzchen Milch in die Luftröhre und Lunge einatmen, was nicht selten zu einer Lungenentzündung mit Todesfolge führt. Ab der vierten Lebenswoche kann der Züchter aufatmen: Nun genügt eine Fütterung im Vier-Stunden-Takt und man kann nachts endlich ein wenig länger durchschlafen. Es versteht sich von selbst, dass der harte Einsatz zumindest von Erfolg gekrönt sein sollte. Es wäre schrecklich, wenn all die Mühen letztendlich umsonst waren und man die Kleinen nicht durchbringt. Misserfolge lassen sich am sichersten ausschließen, wenn weit verbreitete Fehler von Anfang an vermieden werden.
Thema Aufzuchtsmilch
Wenn Sie
Aufzuchtsmilch mit Leitungswasser anrühren, fragen Sie in der
Gemeinde-/Stadtverwaltung nach, ob das Wasser zur Zubereitung von Säuglingsnahrung verwendet werden kann. Verschmutzungen durch Nitrate/Nitrite sind insbesondere in intensiv landwirtschaftlich genutzten Gebieten oder Weinbauregionen anzutreffen. Hier kann für die Kätzchen Todesgefahr bestehen. Ebenso ist von der Verwendung von chloriertem Leitungswasser dringend abzuraten
Hier sehen Sie ein Beispiel erfolgreicher Handaufzucht ;-)
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